In Stuttgarter Flüchtlingsunterkünften mangelt es an Internetverbindungen.
Betroffene Schüler berichten, wie sich das für sie auswirkt.

 

Moawiya Nawaf Hasan ist verzweifelt. „Meine Noten waren gut“, sagt der 22-Jährige, der das Berufskolleg besucht. Doch nun bangt er um seinen Abschluss. Seit der Schulschließung im Dezember habe er an keiner digitalen Unterrichtseinheit teilnehmen können. Der Grund: In der Flüchtlingsunterkunft in der Quellenstraße in Bad Cannstatt, in der er, seine Eltern und die fünf Geschwister leben, gibt es kein WLAN. „Da sind nicht einmal Internetleitungen“, sagt er. Das Material bekomme er per Mail. Wenn er Glück hat, ist das Büro des Sozialarbeiters noch besetzt, und er kann es am gleichen Tag ausdrucken.

 

Auch seine Geschwister seien abgehängt. Sein ältester Bruder studiert an der Uni Heidelberg, seine Schwester geht ebenfalls aufs Berufskolleg, die übrigen Brüder seien in der Schule, zwei auf dem Gymnasium. „Keiner von uns kann am Online-Unterricht teilnehmen“, sagt Moawiya Nawaf Hasan. Sie hätten es probiert, sich mit dem Handy einzuwählen, aber die Verbindung sei zu schlecht. Ohnehin mache es die Enge schwer, sich zu konzentrieren. „Unsere Nachbarn haben kleine Kinder, die sind sehr laut“, sagt er. Normalerweise passe er im Unterricht auf und gehe in die Bibliothek zum Lernen. „Doch die hat auch geschlossen.“

 

28 Gemeinschaftsunterkünfte ohne WLAN

 

Moawiya Nawaf Hasan und seine Geschwister sind bei weitem kein Einzelfall. Das WLAN-Problem wird immer wieder von Flüchtlingsfreundeskreisen und Ehrenamtlichen bemängelt, auch Asylpfarrer Joachim Schlecht begegnet dem Problem regelmäßig, im September hatte er einen Hilferuf an die Sozialbürgermeisterin mit abgesetzt. „Ich finde es traurig, dass immer noch nichts passiert ist“, sagt Schlecht. Es treffe die, die sich besonders um Integration bemühen.

 

Wenn es in Unterkünften WLAN gibt, dann haben ehrenamtlich Engagierte und Freundeskreise dies ermöglicht, wie in Sillenbuch in der Kirchheimer Straße, wo mehrere Gebäude versorgt werden. Von insgesamt 53 Gemeinschaftsunterkünften verfügen nach Kenntnis des Sozialamts 25 über einen solchen Internetzugang. Die Mehrheit der Fraktionen hat schon vor Monaten Abhilfe gefordert. Und die soll kommen. Auch bei der Stadt ist man auf der Suche nach Lösungen. Derzeit prüften Sozialamt und Schulverwaltungsamt, inwieweit durch die Bereitstellung von mobilen LTE-Routern für Familien in den Unterkünften kurzfristig WLAN bereitgestellt werden könne, so eine Sprecherin der Stadt.

 

Ziel sei, dass „auch Kinder ohne Internetzugang mit den über die Schulen bereitgestellten iPads am Homeschooling teilnehmen können“. Die offenen Fragen sollten „zeitnah“ geklärt werden. Beim Thema stationäres WLAN ist man noch dabei, rechtliche finanzielle Fragen ämterübergreifend zu klären.

 

Übers Handy der Mutter versuchen die Brüder, am Digitalunterricht teilzunehmen

 

Der Fünftklässler Sabri und seine Geschwister finden die Situation frustrierend. Die Familie aus dem Irak wohnt in einer Unterkunft in Untertürkheim. Sie nutzten das Handy der Mutter als Hotspot, berichtet der Zwölfjährige, der eine Gemeinschaftsschule besucht. Damit versuchten er und sein zwei Jahre älterer Bruder im gemeinsamen Zimmer zeitgleich ihren jeweiligen Online-Unterricht zu verfolgen. Die Verbindung sei viel zu schwach. Sie flögen aus der Leitung oder verstünden nicht, was gesprochen wird. Schwierig sei es zudem ohne Drucker. Er müsse die Arbeitsblätter immer abschreiben, was mühsam sei.

 

„Es wäre sinnvoll, wenn jeder auf dem Zimmer die Möglichkeit hätte, ins Internet zu gehen“, fordert auch der Ehrenamtliche Werner Lächner. Er hilft Flüchtlingen in zwei Feuerbacher Unterkünften bei den Hausaufgaben. In der Krailenshaldenstraße betreut er den Lernraum mit, ein Vorzeigeprojekt der Stadt. Dort gibt es vier Laptops mit Internetanschluss. „Der Lernraum ist ein Anfang“, sagt er, es werde aber nur ein Bruchteil der Kinder aus der Unterkunft erreicht. Seit den Schulschließungen sei der Bedarf gestiegen, die Lücken seien größer geworden. Manchmal wundert er sich auch über das Material, das die Kinder mitbringen. „Wie sollen sie das verstehen?“, fragt sich der Rentner.

 

Das WLAN im Gemeinschaftsraum wurde abgeschaltet

 

In der Unterkunft in der Wiener Straße betreut Lächner eine Jesidin, die die Abendrealschule besucht. „Sie geht zu Verwandten in die Wohnung, weil sie dort WLAN hat.“ In Ruhe lernen könne sie da nicht – „und man sollte doch Kontakte vermeiden“, sagt er. Der Freundeskreis hatte im Gemeinschaftsraum WLAN finanziert, aber weil sich dort zu viele aufhielten, habe es die Hausleitung wegen Corona abgeschaltet. Auch Lächner nennt die Stadtbibliothek als Alternative, die vielen, die er kennt, fehle. „Es wird ihnen gerade die Möglichkeit genommen, sich zu integrieren“, warnt der Ehrenamtliche.

 

 

Lernräume. Seit Sommer 2020 arbeitet die Abteilung Stuttgarter Bildungspartnerschaft mit dem Sozialamt an der Etablierung von Lernräumen in Flüchtlingsunterkünften. Im September startete in der Krailenshaldenstraße in Feuerbach der erste, im Oktober folgte der Lernraum in der Kurt-Schumacher-Straße in Möhringen. Die Rudolf-Schmid-und-Hermann-Schmid-Stiftung ermöglichte zwei weitere Lernräume: Am 1. Dezember startete ein Raum in Stammheim, am 1. Februar wurde nun der vierte Lernraum in der Helene-Pfleiderer-Straße in Degerloch eröffnet.

 

 

Konzept. Die Lernräume bieten nicht nur die nötige Technik, sie werden auch hauptamtlich betreut. Diese sollen „die Bedarfe vor Ort ermitteln und entsprechende Lernangebote vor Ort für die Kinder und Jugendliche koordinieren und ermöglichen“, so eine Sprecherin. Das Ziel: bessere Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen in Gemeinschaftsunterkünften zu ermöglichen.

 

 

Mobil. Noch im Frühjahr soll ein mobiler Lernraum starten und Flüchtlingsunterkünfte und Sozialunterkünfte anfahren. Das Lernmobil soll zeitgleich von sechs Schülerinnen und Schülern genutzt werden können. Auch hier wird eine pädagogische Fachkraft vor Ort sein.

 

 

Kritik. Asylpfarrer Joachim Schlecht ist zwar „froh über die Lernräume“, sagt aber auch, dass nur wenige Kinder davon profitierten – und man auch an die Erwachsenen denken müsste, die zum Beispiel einen Deutschkurs machen.

 


In den meisten Unterkünften wird seit Monaten kein Deutschunterricht und keine Hausaufgabenhilfe mehr angeboten. Foto: Kovalenko

 

Geflüchtetenhelfer in Stuttgart
Die Freunde müssen fernbleiben

 

von Cedric Rehman, Stuttgarter Zeitung Nr. 25. Montag, 1. Februar 2021: Aus den Stadtteilen


S-Mitte/-West/ Stammheim - Integration in eine Gesellschaft, die sich zum Schutz vor dem Coronavirus verschlossen hat, so sieht in einem Satz zusammengefasst die Aufgabe für Geflüchtete in der Zeit der Pandemie aus. Sie sollen Deutsch lernen und die deutsche Gesellschaft kennenlernen, aber die Möglichkeiten zur Begegnung mit Deutschen sind in Zeiten der Kontaktbeschränkung rar. Es herrscht Besuchsverbot in Unterkünften und die berechtigte Sorge vor einer Verbreitung des Coronaerregers. Auch die ehrenamtlichen Helfer aus den Freundeskreisen der Heime müssen in der Regel draußen bleiben.

Lernbegleitung gibt es noch

In einigen Heimen in Stuttgart gibt es noch eine Lernbegleitung, bei der sich Lernenende und ehrenamtliche Unterstützer auch von Person zu Person begegnen. „Dabei werden FFP-2-Masken getragen und wir haben ein Lüftungsgerät von der Uni Stuttgart gespendet bekommen“, erzählt Marina Silverii vom Freundeskreis Stuttgart-West.

FFP-2-Masken bieten auch dem Träger anders als herkömmliche Mund- und Nasenbedeckungen einen gewissen Schutz vor Erregern wie dem Coronavirus. Sie sind in der Anschaffung allerdings auch teurer. „Die FFP-2-Masken für die Lernbegleiter haben wir aus dem Freundeskreis gespendet“, erklärt Silverii.

Einige Helfer gehören zur Risikogruppe

Pfarrer Ralf Horndasch vom Freundeskreis Flüchtlinge Weilimdorf schildert die Dilemmata der Geflüchteten und ihrer Helfer in der Coronazeit aus seiner Sicht: Viele Ehrenamtliche gehörten aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe für schwere Verläufe der Krankheit Covid 19. Gleichzeitig lebten Geflüchtete in den Asylheimen eng zusammen. Hereingetragene Erreger könnte sich in den Unterkünften also leicht von Zimmer zu Zimmer ausbreiten. Eine Gefährdung in die eine oder die andere Richtung müsste unbedingt verhindert werden, betont Pfarrer Horndasch. Dennoch gehe die Hilfe für die Geflüchteten unter den Hygiene- und Abstandsregeln zum Infektionsschutz weiter. „Wir halten enge Absprachen mit den Sozialarbeitern in den Heimen. Wenn es einen Bedarf gibt, dann gibt es bei uns jemanden, der unterstützen kann“, sagt er.

Unterstützer helfen bei Umzügen

Als Beispiel nennt Pfarrer Horndasch Helfer, die bei einem Umzug aus einem Heim in eine eigene Wohnung in der Pandemiezeit mitanpacken. Ehrenamtliche aus dem Freundeskreis stünden dann bereit, schildert der Pfarrer. Die meisten sozialen Aktivitäten, bei denen Geflüchtete Einheimischen begegnen und Kontakte knüpfen könnten wie etwa Feste, seien aber derzeit undenkbar, sagt Horndasch. „Das Besuchsverbot schränkt unsere Möglichkeiten stark ein“, sagt er.

Feste fallen aus

Die Evangelische Gesellschaft (eva) sowie die Caritas sind unter anderem in den Stuttgarter Geflüchtetenheimen Träger der Sozialarbeit. Daniel Rau von der eva arbeitet im Sozialdienst in der Unterkunft an der Breitscheidstraße. Er meint, dass die Freundeskreise und ihre Helfer den Bewohnern fehlen würden. Gleichzeitig zeigten die Geflüchteten im zweiten Lockdown eine große Disziplin. „Wir müssen weniger Gespräche über die Regeln führen als im Frühjahr“, meint Rau.

Virus wütet in den Herkunftsländern

Gerald Birkenstock vom Freundeskreis „Stammheim hilft!“ vermutet, dass viele Geflüchtete von Angehörigen hören, wie katastrophal die Pandemie in den Heimatländern wütet. „In vielen Herkunftsländern ist es ja noch viel schlimmer als bei uns“, sagt Birkenstock. Von einer verschärften Stimmung in den mit Besuchsverbot belegten und isolierten Heimen spürt der Sozialarbeiter Rau nichts. „Ich glaube, es geht ihnen derzeit so wie allen anderen. Sie sehnen sich einfach nach Normalität“, sagt er.

Es herrscht Maskenpflicht

Rau beschreibt, dass auf den Fluren und in den gemeinschaftlich genutzten Sanitärräumen oder in der Küche Maskenpflicht herrsche. Wer zu einer Risikogruppe zähle, könne ein Einzelzimmer belegen und müsse sich noch stärker isolieren. Therapien für etwa durch Folter Traumatisierte bei der Psychologischen Beratungsstelle (PBV) gingen ohne Unterbrechung weiter, berichtet Rau.

Auch der Sozialarbeiter bedauert, dass es derzeit an Möglichkeiten der Begegnung zwischen Geflüchteten und Einheimischen fehle. „Wir hatten an der Breitscheidstraße im Begegnungsraum eine Teestunde, die Chai-Zeit. Da konnte sich jeder mit den Geflüchteten treffen. Die war sehr gut besucht und das half den Bewohnern beim Spracherwerb“, erzählt Rau. Zumindest ein Sozialarbeiter arbeite derzeit weiterhin vor Ort in der Unterkunft, berichtet Rau weiter. „Das ist wichtig für das Gefühl haben, dass jemand da ist“, sagt er.


 

Stuttgarter Zeitung online Julia Bosch. 20.01.2021 - 15:27 Uhr
Corona-Pandemie Was der Lockdown in Flüchtlingsunterkünften verändert

 

  

 

Die Corona-Pandemie hat verheerende Auswirkungen auf Bewohner und Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften. Dazu gehört nicht nur, dass Ehrenamtliche die Gelände nicht mehr betreten dürfen.

 

 

 

Region Stuttgart - Die Folgen des Coronavirus treffen uns alle: Mehr als zwei Millionen Menschen weltweit sind an oder mit Covid-19 gestorben, in Deutschland haben etwa eine halbe Million Menschen ihre Jobs verloren, andere vereinsamen. Und dann gibt es auch noch Personen, die diese Pandemie überstehen müssen, ohne sich und ihre Familien in Sicherheit zu wissen: Menschen auf der Flucht.

 

Stuttgarter Zeitung online Julia Bosch. 20.01.2021 - 15:27 Uhr

 

 

 

Die Mehrzahl kommt aus Syrien. In Baden-Württemberg wurden im Jahr 2020 rund 7000 Asylsuchende registriert, die im Land geblieben sind, informiert Renato Gigliotti, der Sprecher des hiesigen Innenministeriums. Zum Vergleich: In den Jahren 2019 sowie 2018 waren es mehr als 10 000, im Jahr 2017 mehr als 15 000 und 2015 knapp 98 000. Im vergangenen Jahr kam die größte Gruppe der Asylsuchenden aus Syrien (1600 Menschen), danach folgen die Länder Türkei (900), Irak (900) und Afghanistan (500). Rund 850 dieser Geflüchteten kamen zwischen Anfang Januar und Ende November 2020 in Stuttgart an und wurden auf die 97 Flüchtlingsunterkünfte verteilt, die momentan in Betrieb sind. Die Auslastung dort beträgt laut dem Stadtsprecher Martin Thronberens derzeit 83 Prozent. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes wurde die Belegungsdichte sogar auf höchstens 40 Prozent gesenkt, um das Infektionsrisiko zu vermindern.

 

 

 

Gespräche werden am Fenster geführt. Die Pandemie hat den Alltag in den Unterkünften stark verändert. „Eine der größten Herausforderungen momentan ist: Wie können wir den Kontakt zu den Bewohnern halten?“, sagt Matthias Engel, der Fachbereichsleiter für Flucht und Asyl bei der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz. Offene Sprechstunden seien derzeit überhaupt nicht möglich. Vor Ort sind die Sozialarbeiter aber immer noch. Die Bewohner können aber nicht mehr einfach in deren Büro kommen, sondern müssen anrufen. Zudem würden Gespräche auf dem Hof oder am Fenster geführt, sagt Matthias Engel.

 

Die Sozialarbeiter legten Wert darauf, dass die Menschen so schnell wie möglich wieder ohne Hilfe zurechtkommen, „denn alle hatten ein eigenes Leben, bevor sie nach Deutschland gekommen sind“, betont Matthias Engel. Deshalb hätten in der Vergangenheit nicht Sozialarbeiter den Hörer in die Hand genommen, wenn Dinge bei Behörden zu klären waren, sondern die Geflüchteten hätten sich selbst gekümmert. Durch die corona-bedingten Einschränkungen bei Behörden müssten die Sozialarbeiter wieder mehr unterstützen. Engel betont: „Der Aufwand ist sehr viel größer geworden.“

 

Dies ist überall feststellbar: Manche Bewohner würden schlicht nicht über das notwendige Verständnis oder die technischen Möglichkeiten verfügen um ihre Anliegen digital erledigen zu können, sagt Martin Thronberens.

 

 

 

Ehrenamtliche dürfen nicht rein. Die Hilfe durch Ehrenamtliche fällt dabei großteils weg. Zum einen gehören viele von ihnen zur Risikogruppe. Zum anderen gilt in den Unterkünften ein Betretungsverbot für Besucher. Treffen sind nur draußen möglich. „In den Zimmern zusammenzusitzen, ist das Schlechteste, was man zurzeit tun kann – zumal es in der Regel nur ein Fenster pro Zimmer gibt“, erläutert Engel.

 

Als im Sommer die Ansteckungszahlen niedriger waren, wurde das Besuchsverbot etwas gelockert. „Die Nachfrage war aus Gründen der Vorsicht aber eher gering“, sagt Simone Lebherz. Sie koordiniert die Flüchtlingsaufnahme im Landratsamt des Rems-Murr-Kreises. „Was uns aber immer wichtig war: Die Flüchtlinge müssen merken, dass sie trotz Pandemie nicht vergessen sind.“

 

 

 

Wenig Hilfe für Schulkinder. Im Kreis Böblingen wird genau festgelegt, welche Anliegen aufschiebbar sind – und welche nicht. „Für uns steht die gesundheitliche Unterstützung ganz vorne“, betont Jochen Hirneise, stellvertretender Leiter des Amts für Migration und Flüchtlinge und Leiter der unteren Aufnahmebehörde im Landkreis. Einige Flüchtlinge seien traumatisiert und in psychiatrischer Behandlung, dies müsse zwingend weiterfunktionieren. Auch Arzttermine müssten wahrgenommen werden können.

 

 

Besonders prekär sei der Lockdown für die Kinder in den Unterkünften, „das treibt uns um“, gesteht Simone Lebherz. Dabei stünden nicht Laptops und technische Ausrüstung an erster Stelle, sondern dass es Erwachsene gebe, die den Schulstoff verstehen und erklären könnten. Oft könnten die Kinder schon mehr Deutsch als die Erwachsenen, daher sei häufig keine ausreichende Unterstützung durch die Eltern möglich. „Hier fehlen die Ehrenamtlichen vor Ort besonders.“

 

 

 

Dasselbe Problem schildern die Kollegen aus dem Landkreis Böblingen: Es sei nun bald ein ganzes Jahr, in welchem die Flüchtlinge nur noch rudimentär von Ehrenamtlichen betreut werden konnten, betont Jochen Hirneise. Nicht nur die Kinder werfe das zurück. „Man merkt, dass die Leute sprachlich und in Bezug auf ihre Integration nicht weiterkommen.“ Dies habe psychische Auswirkungen: „Manche haben derzeit gar keine Kontakte nach außen, sie können ihre Sorgen zudem nur eingeschränkt mit den hauptamtlichen Sozialbetreuern in den Unterkünften besprechen.“ Einige zögen sich aus diesem Grund zunehmend zurück, andere könnten auch kleinere Sorgen kaum mehr überblicken.

 

 

 

Wer hustet, wird separiert. Es gibt auch gute Nachrichten: Bisher gab es zum Beispiel in den landkreiseigenen Unterkünften des Rems-Murr-Kreises keinen einzigen Fall, dass sich ein Mitarbeiter im Dienst infiziert habe, „das ist der Vernunft aller Beteiligten zu verdanken“, sagt Lebherz. Von den rund 650 Bewohnern hätten sich etwa 20 Personen infiziert – obwohl dem Kreis 2020 etwa 340 Personen neu zugewiesen worden sind. Die Zahl der Infektionen sei auch deshalb so gering, weil seit Beginn der Pandemie auf ausreichend frische Luft geachtet werde. Wenn jemand huste oder schnupfe, sagt Simone Lebherz, könne dieser von den anderen getrennt werden.

 

 

 

Auch in den Unterkünften des Kreises Böblingen hielten sich die Infektionen bisher im Rahmen. „Vor etwa zwei Monaten hatten wir einen Corona-Fall, daraufhin mussten vier Familien in Quarantäne“, sagt Hirneise. Die meisten Geflüchteten seien dankbar für die hohen Infektionsschutz-Standards.

 

 

 

„Die Menschen agieren sehr verantwortungsvoll“, betont Engel. Nicht jeder koche um 18 Uhr sein Abendessen, sondern man teile sich auf. Außerdem würden sich die Bewohner gegenseitig vom Einkaufen etwas mitbringen. „In diesen Kulturen werden vor allem die Älteren besonders geschützt.“ Dennoch sagt Engel: „Die Pandemie ist für Menschen in Sammel-Unterkünften besonders einschneidend. In einem Einfamilienhaus mit Garten hält man es im härtesten Lockdown vermutlich etwas länger aus.“