Newsletter der „ggua“
Familien zweiter Klasse: Kinderbonus ist abhängig vom Aufenthaltsstatus
Liebe Kolleg*innen,
der Gesetzentwurf zum Kinderbonus und zu den weiteren Regelungen des „Konjunkturpakets“ ist seit Freitag veröffentlicht:
https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/19_Legislaturperiode/Gesetze_Verordnungen/2020-06-12- Zweites-Corona-Steuerhilfegesetz/2-Regierungsentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Danach ist nun – sofern nicht noch Änderungen in anderen Gesetzen kommen sollten – klar: Nach Auffassung der Bundesregierung gibt es auch in Corona-Zeiten Kinder erster und zweiter Klasse. Denn der Kinderbonus in Höhe von 300 Euro (ausgezahlt in zwei Tranchen im September und Oktober 2020) wird nur an Familien ausgezahlt, die im Jahr 2020 auch für mindestens einen Monat Anspruch auf Kindergeld haben (Art. 1 Nr. 9 und Art. 9 des Gesetzentwurfs). Somit werden insbesondere Familien mit einer Aufenthaltsgestattung oder einer Duldung von der Zahlung des Kinderbonus ausgeschlossen – unabhängig von ihrer vermuteten „Bleibeperspektive“. Auch Familien mit bestimmten humanitären Aufenthaltserlaubnissen und in bestimmten Fällen Unionsbürger*innen werden von der Zahlung ausgeschlossen, sofern sie nicht erwerbstätig sind. Unten gibt es dazu eine Übersicht.
Hierbei handelt es sich um eine migrationspolitisch motivierte Diskriminierung von Kindern aufgrund des „falschen“ Aufenthaltsstatus, die diejenigen besonders hart trifft, die ohnehin aufgrund der nicht existenzsichernden Leistungen des AsylbLG und der ideologisch begründeten Lagerunterbringung besonders von Armut und Exklusion betroffen sind. Das Argument eines vermuteten nur vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland trägt zur Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung dabei nicht: Denn vom Kindergeld (und damit auch vom Kinderbonus) ausgeschlossen sind auch Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit langfristig oder dauerhaft in Deutschland leben werden. So sind auch Asylsuchende aus Syrien nicht anspruchsberechtigt, obwohl sie nach wie vor zu annährend hundert Prozent einen Schutzstatus erhalten. Und auch Personen mit einer Ausbildungsduldung sind ausgeschlossen, obwohl sie versicherungspflichtig arbeiten, dauerhaft hier leben werden und womöglich noch nicht einmal ergänzende Sozialleistungen beziehen. Diese Ungleichbehandlung ist sozialpolitisch völlig inakzeptabel und widerspricht den erklärten Zielen des Konjunkturpakets („die Konjunktur stärken, Arbeitsplätze erhalten und die Wirtschaftskraft Deutschlands entfesseln, im weiteren Verlauf auftretende wirtschaftliche und soziale Härten abfedern, (…), junge Menschen und Familien unterstützen“.)
Schon die Kindergeldausschlüsse selbst sind womöglich verfassungswidrig. So hat es das Finanzgericht Niedersachsen entschieden und diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt. Leider hat das BVerfG seit sechs Jahren noch immer keine Urteile darüber gefällt. Umso gravierender, dass nun aufgrund einer vermutlich verfassungswidrigen Rechtslage die Betroffenen auch noch vom Kinderbonus ausgeschlossen werden sollen. Hier muss es dringend eine Sonderregelung im Gesetzgebungsverfahren eingefordert werden. Außerdem müssen die Ausschlüsse vom Kindergeld für ausländische Staatsangehörige mit bestimmtem Aufenthaltsstatus gestrichen werden.
Unabhängig davon ist es in der Beratungspraxis wichtig, ausnahmsweise bestehende Kindergeldansprüche auch für asylsuchende und geduldete Personen durchzusetzen: So haben etwa türkische Staatsangehörige auch mit Duldung und Gestattung Anspruch auf Kindergeld, wenn sie seit sechs Monaten in Deutschland leben. Auch Menschen auch aus Marokko und Tunesien und den meisten Staaten Ex-Jugoslawiens haben einen Kindergeldanspruch unabhängig vom Aufenthaltsstatus, wenn sie erwerbstätig sind. Personen, die als Flüchtlinge anerkannt werden, haben einen rückwirkenden Kindergeldanspruch für sechs Monate. Es kann im Jahr 2021 wichtig sein, diesen durchzusetzen, da dann auch der Kinderbonus rückwirkend gezahlt werden müsste.
Der Kinderbonus soll (anders als das Kindergeld) nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden, deren Zahlung von anderen Einkommen abhängig ist, (Art. 11 des Gesetzentwurfs). Fraglich ist indes, wie es sich mit Leistungen verhält, die nicht als „Zahlung“, sondern als Sachleistung erbracht werden (etwa Unterbringung oder Gesundheitsversorgung im Rahmen des AsylbLG). Auch die Klarstellung, dass der Kinderbonus pfändungsfrei sein muss, fehlt.
Zum Hintergrund: Folgende Gruppen sind (mit den oben genannten Ausnahmen) vom Kindergeld und damit auch vom Kinderbonus ausgeschlossen:
0 Eltern mit Aufenthaltsgestattung (denn diese haben in aller Regel keinen Kindergeldanspruch. Ausnahmen gelten nur in bestimmten Fällen für türkische und einige andere Staatsangehörige).
0 Eltern mit einer Duldung (denn auch diese haben der Regel keinen Kindergeldanspruch – noch nicht einmal, wenn sie erwerbstätig sind! Ausnahmen gelten nur für Personen mit einer Beschäftigungsduldung und für bestimmte Staatsangehörige). Noch nicht einmal mit einer Ausbildungsduldung gibt es einen Kindergeldanspruch.)
0 Eltern mit bestimmten humanitären Aufenthaltserlaubnissen (23 Absatz 1 AufenthG wegen Krieg im Heimatland sowie §§ 23a, 24 oder § 25 Absatz 3 bis 5), wenn sie nicht erwerbstätig sind oder waren und sich auch noch keine 15 Monate in Deutschland aufhalten).
0 Eltern, die als ausländische Studierende eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16b AufenthG besitzen sowie Eltern mit einer Aufenthaltserlaubnis für ein berufliches Anerkennungsverfahren (§ 16d) oder für die Arbeitsuche (§ 20 Abs. 3 AufenthG), wenn sie nicht erwerbstätig sind oder waren.
0 In bestimmten Fällen EU-Bürger*innen, wenn sie nicht erwerbstätig sind oder waren.
Liebe Grüße
Claudius Voigt
Projekt Q – Büro zur Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrationsberatung.
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